Rede von Eva Apfl beim Randgruppenkrawall-Behindertenprotest am 7.5.2021
Hallo, alle zusammen! Ich freue mich, heute hier sprechen zu dürfen. Es ist großartig zu sehen, wie viele Menschen gekommen sind. Zuerst möchte ich mich vorstellen: Ich bin Eva, 27, ich bin die Vorsitzende der Partei mut. Ich mache gerade eine Umschulung zur Verwaltungsfachangestellten, und ich bin behindert. Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich eine Schwerhörigkeit. Die erste Frage meines Ohrenarztes war damals „Frau Apfl, sind sie schwanger?“ – nicht gerade das, was man bei der Kontrolle seiner Ohren erwartet. Die Frage war jedoch begründet: Die genaue Ursache meiner Schwerhörigkeit ist unbekannt. Vermutlich entstand sie aber aufgrund einer Mittelohrentzündung, die mir zusammen mit Otosklerose diagnostiziert wurde. Otosklerose wird negativ durch hormonelle Schwankungen wie beispielsweise Schwangerschaften beeinflusst. Auf die Diagnose folgte eine OP, während der man merkte, dass die Otosklerose eigentlich eine Tympanosklerose war.
Die Geschichte meiner Schwerhörigkeit ist also nicht einfach und kurz, sondern facettenreich. Und dennoch denken viele, sie könnte auf einen Aspekt reduziert werden. „Du hast doch bestimmt nur zu laut Musik gehört“: Diesen Satz hat bestimmt jede*r Hörbehinderte schon einmal gehört. Die Frage scheint gerechtfertigt oder sogar scherzhaft, aber in Wahrheit ist sie weder noch. Ja, ich höre gerne Musik. Ja, ich höre gerne laute Musik. Aber das ist nicht die Ursache meiner Schwerhörigkeit. Und selbst wenn sie es wäre, ist es nicht meine Aufgabe, anderen meine Geschichte zu erklären oder mich für sie zu rechtfertigen. Ich kann nicht sagen, dass ich frei von Stereotypen bin: Lange Zeit bin ich mit meiner Schwerhörigkeit nicht zur Ärzt*in gegangen, weil ich mir ebenfalls eingeredet habe, sie würde von der lauten Musik kommen. Jetzt weiß ich, wie schädlich dieses Denken ist.
Meine Reise hat sehr plötzlich und unerwartet begonnen, aber sie hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich bin nicht nur ein Mensch mit Behinderung, sondern ein behinderter Mensch: Mich gibt es nicht ohne und wird es auch niemals geben. Meine Behinderung ist nicht alles, was mich ausmacht, aber sie ist ein wichtiger Teil von mir, ich schäme mich nicht für sie. Ich verstecke sie nicht!
Genau wie vielen anderen kann man mir meine Behinderung aber nicht auf den ersten Blick ansehen. Es gibt nicht nur eine Art behinderter Menschen, wir sind genauso vielfältig in Alter, Geschlecht, Herkunft Aussehen und Vorgeschichte, wie jeder andere Mensch auch. Und genauso wie jede*r andere verdienen wir es, dass wir die gleichen Möglichkeiten haben, dass uns zugehört und mit uns gesprochen wird, auch wenn das über Umwege geschehen muss.
Als Schwerhörige kann ich dich vielleicht nicht immer hören, aber ich kann dich sehr wohl verstehen. Eine Behinderung ist nicht gut oder schlecht: Sie ist einfach neutral, einfach ein weiterer Aspekt meines Lebens. Glücklicherweise leben wir in einer Gesellschaft, in dem Menschen nicht mehr „normal“ sein müssen, was auch immer das heißen mag. Doch es ist nicht zu leugnen, dass eine Behinderung einschränkend ist. Akzeptanz allein reicht oft nicht, stellt euch vor, ihr sitzt in einem Bus oder Zug und plötzlich steigen alle anderen Passagiere aus, ohne dass ihr mitkriegt, dass etwas passiert ist. Für hörbehinderte Menschen ist das bei technisch bedingten Fahrtunterbrechungen alltägliche Lebensrealität.
Bei diesem Beispiel handelt es sich um ein Problem, dass durch die Ausrichtung der Welt für Menschen ohne Behinderung entstanden ist. Viele sind in diesem Punkt uninformiert und deswegen auch nicht sensibilisiert. Der Umgang mit Behinderten ist oft – wie die Behinderung selbst – ein Tabu-Thema. Deshalb bleibt die Aufklärung meist an den Behinderten selbst hängen. Doch nicht jede*r ist bereit, fremde Menschen über Dinge zu unterrichten, die durch besseres Verständnis geklärt werden könnten. Es ist meine Sache, ob ich Hörgeräte trage oder nicht, ob ich laute Musik höre oder nicht, und ob ich meine Geschichte teilen möchte oder nicht.
Oft werde ich gefragt, ob ich gerne wieder richtig hören könnte. Für mich ist das so, als würdet ihr mich fragen, ob ich gerne fliegen könnte. Ich weiß, dass ich es nie können werde, warum sollte ich also meine Energie darauf verwenden, mich damit auseinanderzusetzen?
Eine große Schwierigkeit ist dabei, dass sich viele Menschen nicht vorstellen können, wie es ist, eine Behinderung zu haben, und nicht für die Existenz von Behinderungen im Alltag sensibilisiert werden. Gebärdensprache zu lernen läuft leider oft noch über das Ehrenamt oder gesonderte Kurse. Warum kann in einer Schule, die tote Sprachen wie Latein unterrichtet, nicht auch eine Sprache gelehrt werden, die das einzige Mittel zur Kommunikation für Tausende Menschen ist?
Es gibt noch viel zu tun, ich möchte trotzdem jedem danken, der heute gekommen ist, um seine Unterstützung zu zeigen. Ich bin mir sicher, dass wir zusammen viel erreichen können und dass eure Unterstützung nicht auf den heutigen Tag beschränkt sein wird. Ich bin Eva, 27 und ich bin behindert. Und auch wenn ihr mich vielleicht nicht hören konntet, hoffe ich, dass ihr mich verstehen konntet.