Rede von Alexandra Sahlender beim Randgruppenkrawall Behindertenprotest am 7.5.202
Hallo, ich möchte mich ganz herzlich bei Patricia Koller bedanken, die es mir ermöglicht hat heute wieder hier zu sein.
Ich war letztes Jahr im August schon hier in München, mit meiner Geschichte und stehe auch heute da, um Menschen zu finden, die uns helfen können.
Nun zu meiner Geschichte und warum ich eigentlich hier bin.
Mein Name ist Alexandra Sahlender, ich bin Erzieherin und arbeite seit 27 Jahren in der Behindertenarbeit der Lebenshilfe Haßberge in Unterfranken.
Es geht hier um meinen geistig behinderten Freund, er ist mittlerweile 54 Jahre alt. Er kann schlecht laufen und nicht sprechen. Von Oktober 2017 bis August 2019 war er bei mir, er lebte gemeinsam mit mir wieder ein normales Leben. Er kam nach einem tragischen Unglück zu mir. Seine Eltern kamen bei einem Hausbrand ums Leben. Ich nahm ihn sehr gerne bei mir auf. Es gab damals aufgrund seiner Aggressionen keinen Heimplatz. Seine Schwester, die nach dem Tod seiner Eltern zur Betreuerin wurde, war mit dieser Situation überfordert und suchte nach einem liebevollen Platz für ihren Bruder. Durch meine Erfahrung in der Behindertenarbeit habe ich schnell erkannt, dass Stefan eine Sprache fehlt. Er brauchte Hilfe dabei Zeichen zu finden, um sich mitzuteilen und Orientierung zu haben. Seine Aggression war ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Angst. Gemeinsam haben wir einen Weg gefunden, dass er sich immer besser mitteilen konnte. Er wurde immer ausgeglichener und seine Aggressionen waren am Schluss in unserem Leben nicht mehr vorhanden. Er nahm zu diesem Zeitpunkt zunehmend selbstbestimmt am Leben teil.
Leider änderte sich seine Situation im August 2019 schlagartig. Seine Schwester, die im Oktober 2017 sehr froh war, dass ich ihn aufgenommen habe, wollte plötzlich nicht mehr, dass er weiter bei mir lebt. Sie brachte ihn in einem Heim unter und sorgte sogar dafür, dass ich dort ein Hausverbot bekam!
Nachdem ich mittlerweile einen Anwalt habe, weil seine Schwester mir mit verschiedenen Unterlassungsschreiben, den Mund verbieten wollte, konnte ich das Hausverbot nun endlich aus dem Weg räumen. Auch wurde ich von ihr bei der Polizei angezeigt und konnte mit Hilfe meines Anwalts alles widerlegen und das Verfahren wurde eingestellt.
Nach langem Hin und Her mit der Schwester durfte ich ihn im April 2021, also 2 ½ Jahre später, für 30 Minuten endlich besuchen.
Seine, nicht nur mir bekannte Art des aktiven Mitteilens, sei es durch hervorgebrachte Laute, seine Gesichtsmimik, ein Lächeln oder Lachen, seine Gestikulation oder seine Art Witze zu machen und darüber selbst zu lachen, all diese Besonderheiten, die seine Persönlichkeit auszeichneten, waren an diesem Tag nicht mehr vorhanden. All meine Bemühungen, Kontakt mit ihm aufzunehmen, scheiterten an diesem Tag. Er erkannte mich nicht wieder. Der Mensch, den ich damals kennenlernen durfte, den gab es jetzt nicht mehr.
Als meine Besuchszeit zu Ende war, wurde er wieder von dem Pfleger, den er auch keines Blickes würdigte, aus dem Besuchsraum gefahren. Bevor ich die Institution verließ, teilte ich dem Heimleiter mit, dass ich an diesem Tag den Eindruck bekommen habe, dass er sehr viele Medikamente bekommt.
Mir ist absolut bewusst, dass es sich bei ihm um einen schwerstbehinderten Menschen handelt und mir wahrscheinlich die fachliche Kompetenz zur Beurteilung von seiner Behinderung abgesprochen wird. Tatsache ist aber, dass ich ihn in einem vergleichbaren, ja nahezu identischen Zustand, abgeschnitten und isoliert von der Außenwelt im Oktober 2017 kennengelernt habe.
Nach seinem Einzug bei mir änderte sich sein apathisches Verhalten dahingehend, dass seine eigene Persönlichkeit hervorkam und ihm somit eine volle Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben ermöglicht wurde. Wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen hat vor allem die mit seiner damaligen Ärztin abgesprochene Reduzierung der Medikamente.
Er lernte seine Aggressionen abzulegen, sich zu gedulden, auf Menschen zu zugehen und sich mit Mimik, Gestik, Lauten auf seine spezielle Art zu verständigen, mit dem Erfolg, dass nicht nur ich ihn verstand und er sich auch von seinen Mitmenschen verstanden fühlte. Dies könnten auch andere Personen bestätigen. Als Nachweis, dass es ihm zu dieser Zeit gut ging, habe ich Photos, Videos, Schreiben von Freunden und Bekannten.
Nun kann man sagen, seine Schwester kennt ihn 50 Jahre, ich nur 2 Jahre. Das Wesentliche ist aber, wie er war in dieser Zeit und dass ich diese Arbeit gelernt habe. Er sich sehr zu seinem Vorteil entwickelte, am Leben teilnahm.
Er hatte schon immer Probleme, sich in Einrichtungen einzufügen. Auch in seiner Werkstatt hatte er einen sehr hohen Medikamentenspiegel, der ihn zwar für dieses System dann tauglich machte , ihm aber jede Lebensqualität dadurch genommen wurde.
Es muss doch eine Möglichkeit geben, ihm zu helfen, er braucht keine Medikamente, sondern ein soziales Umfeld, das ihm hilft, ein normales Leben zu führen!
Warum hat er kein Recht auf ein normales Leben, wenn man es ihm ermöglichen kann? Jeder redet von Inklusion und Teilhabe am Leben, wo wird dieses hier berücksichtigt?!
Es gibt UN-Konventionen, Bundesteilhabegesetz. Auch diese Gesetze sind für Menschen wie ihn gemacht.
Am 5.März 2021 wurde dem Gesetzesentwurf zur Reform des Vormundschafts-und Betreuungsrechts zugestimmt. Indem der Betreute noch mehr in den Vordergrund rücken soll.
Einem Menschen wurde zweimal sein Leben genommen, wer würde das einem nichtbehinderten Menschen zumuten?
Ich habe Heime in Corona Zeiten kennengelernt und damit, wie wichtig es für die Bewohner ist, dass sie Menschen haben, die sie lieben und auf sie zugehen. Auch Kontakte von außen, weil oft die Personalsituation mehr als Pflege nicht zulässt.
Meinem behinderten Freund wird dieses seit August 2019 verwehrt, er hat Ausgangssperre seit er bei mir weg ist. Er darf mich und seine Freunde aus seinem Leben bei mir nicht sehen! Weil es seine Schwester nicht möchte. Würde man ihn fragen, wo er für den Rest seines Lebens leben möchte, würde er sagen bei Alex. Doch leider ist dies verbal nicht möglich. Würde man bei dieser Frage mich in den Raum holen, könnte man anhand seiner Gestik und Mimik die Antwort erkennen. Natürlich nur wenn man das möchte. Im Moment ist nichts möglich, denn aufgrund seiner neuen Medikamentierung ist keinerlei Kontakt möglich.
Warum findet man hier kein Gehör?! Obwohl ich im Gegensatz zu meinen behinderten Freund reden kann.
Menschen sollten endlich lernen, Andere so zu akzeptieren, wie sie sind, dann würden sie auch erkennen, das Behinderung nur eine Form des Anders-Seisn ist. Denn sie sagt nichts über den Menschen aus, der dahinter steckt. Jeder von uns könnte morgen auf der anderen Seite stehen und möchte seine Rechte auf ein normales Leben, nicht neu erkämpfen müssen. Gäbe es endlich ein Miteinander, mit Respekt auf den anderen zuzugehen! Dass es Menschen gibt, die sich nicht nur vom Geschlecht, Hautfarbe oder ihrer Sprache unterscheiden, dann wäre Inklusion nur ein Wort, das niemand mehr braucht.
Dass ich meinen behinderten Freund so akzeptierte wie er war, ließ diese Freundschaft, die am Anfang niemand für möglich gehalten hatte, entstehen.
Und ich bitte Sie von ganzen Herzen mir zu helfen.
Mein Freund ist ein Mensch mit Herz, der gerne lernt und hilft. Wir haben uns mit und ohne Worte verstanden. Diese Art zu wohnen und zu wachsen war für ihn gut und ich setze mich dafür ein, dass er diese Lebensqualität wieder bekommt!
Er hat wie jeder andere Mensch das Recht auf ein „normales Leben“.
Ein Recht auf Familie, Freunde, Liebe, einfach ein „NORMALES LEBEN „. Ein Recht , das jeder Mensch auf dieser Welt haben sollte.
Vielen Dank fürs Zuhören.