Rede von Patricia Koller am 7.5.2021

Redaktion/ Mai 7, 2021/ Beitrag/ 0Kommentare


Kennt Ihr sie auch, die Selbstgerechten, die über uns als Menschen sprechen, „die nicht so auf der Sonnenseite des Lebens stehen“? Habt Ihr Euch auch schon mal gefragt, warum das so ist?
Die Sonne scheint für jeden, auch für uns. Sie unterscheidet nicht nach behindert und nichtbehindert. Sie fragt nicht nach unserer Hautfarbe, oder danach, welche sexuelle Orientierung wir haben. Auch unsere Herkunft interessiert sie nicht. Es ist ihr egal, ob wir arm sind, oder reich. Auch Mutter Erde fragt nicht nach, wer wir sind. Die Natur liebt uns alle gleich. Sie schafft täglich neue Wunder. Sie ist Vielfalt.
Woher also kommen die schwarzen Schatten, die uns das Licht und die Luft zum Atmen nehmen? Ist es der beißende Gestank deutscher Geschichte, in der Kriegstraumatisierte, Kranke und Menschen mit Behinderungen als „unwertes Leben“ betrachtet, systematisch aussortiert und ermordet wurden, der das heutige Denken noch immer beeinflusst?

Seit 12 Jahren warten wir vergeblich auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und es bewegt sich so gut wie nichts. Das Denken der Mächtigen ist auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet und hat sich weitestgehend aus der sozialen Verantwortung gestohlen. Es geht ihnen nur um Geld, Geld, Geld und Leistung. Wer nichts leisten KANN, wird erneut als Ballastexistenz bzw. als Kostenfaktor betrachtet.

Was nützen uns Gesetze, wenn sich die Städteplaner, Einrichtungen, Psychiatrien und Behörden nicht daran halten? Wie soll man sich wehren, wenn einen die Gesellschaft nicht mal wahrnimmt und einen nicht einmal in ihren Plänen für die Zukunft mitbedenkt? Wenn man ausgegrenzt leben muß und ausgegrenzt bleibt? Wie kommt es, daß man ausgerechnet Menschen mit Behinderungen keinen Respekt entgegenbringt? Sie müssen härter kämpfen als jeder andere. Sie hätten dafür JEDEN Respekt verdient!

Gerade wurden vier Schwerbehinderte in einem Behindertenwohnheim in Potsdam durch eine Pflegemitarbeiterin umgebracht und eine weitere Person schwer verletzt. Die Medien fragen nicht bei den Bewohner*innen nach, sondern LOBEN die Einrichtung und man hätte sie ja erst einen Tag vor der Tat überprüft. Selbst für die Täterin findet man lobende Worte, wie gut sie sich bisher um die Schutzbefohlenen gekümmert habe. Man unterstellt ihr sogar als Motiv, sie hätte ihre Opfer „erlösen“ wollen. Na, dann ist ja alles gut??
Wo bleibt der Aufschrei, daß Wehrlose umgebracht wurden? Da sind MENSCHEN gestorben!! Die wollten leben. Sie wollten so wenig „erlöst“ werden wie all die Opfer der Aktion T4 während der NS-Diktatur!

Was hat sich seit den Berichten von Günter Wallraff verbessert, nachdem er mit versteckter Kamera in Behinderteneinrichtungen gefilmt und schwerwiegende Missstände aufgedeckt hat?
Wenn routinemäßige Überprüfungen zu keinen Ergebnissen führen und trotzdem solch extreme Taten geschehen können, sollte man auch mal überprüfen, wer die Überprüfer überprüft. Die Kritik ist ja nicht neu, daß es in solchen Einrichtungen immer wieder zu seelischer und körperlicher Gewalt sowie Missbrauch an Pflegebedürftigen kommt.

In Bad Oeynhausen, in Nordrhein-Westfalen, gehen Ermittler gegen 145 beschuldigte Mitarbeiter einer Behinderteneinrichtung vor. Dort wurden Bewohner eingesperrt, zwangsfixiert und sogar mit CS-Gas traktiert.

Man weiß all das und lässt die Probleme weiterlaufen. Was sind wir für eine Gesellschaft, die so etwas duldet? Keiner fragt nach den behinderten Bewohner*innen. Man betont lediglich Verständnis für die Überlastung der Pflege.
Wer möchte in einem Heim leben, in dem – in den Zimmern nebenan – mehrere Personen umgebracht wurden? Wer möchte Gefahr laufen, eine Ladung CS-Gas ins Gesicht zu bekommen?

Unser Gesundheitssystem ist kaputtgespart, weil die Profitgier über das Wohl der Patient*innen gestellt wurde. Wir brauchen mehr Pflegekräfte und stattdessen werden Kliniken privatisiert und abgebaut. Wenn zu wenig Pflegekräfte auf Dauer zuviel Arbeit leisten müssen, kommt es zur Überlastung und diese führt auch dazu, daß Patient*innen vernachlässigt werden … müssen.
Diese Zustände schaden uns allen. Spätestens wenn wir alt und pflegebedürftig sind.
Ab und zu gibt es mal ein kurzes Aufheulen, wenn ein Verbrechen gegen Pflegebedürftige bekannt wird, oder wieder mal ein krimineller Pflegedienst auffliegt.

Wir wissen auch von Misshandlungen, Zwangsfixierungen und -medikamentierungen in den Psychiatrien und Altersheimen. Selten dringt davon etwas an die Öffentlichkeit und wenn, dann findet es wenig Interesse, weil man das unliebsame Thema lieber verdrängt. Noch ist man ja nicht selbst betroffen…

Schauen wir uns den Fall von Gustl Mollath nochmals an. Hat sich seither etwas verbessert? Nein. Alle, die an dieser unfassbaren Intrige mitgewirkt haben, die ihn sieben Jahre seines Lebens in die forensische Psychiatrie gebracht hat, weil er Schwarzgeldgeschäfte in Millionenhöhe aufdeckte, gelten weiterhin als ehrbare Menschen. Daraus kann man schließen, daß derartige Justiz-“Irrtümer“ jederzeit wieder passieren können und werden. Man sollte also dringend überlegen, wo man seine Kreuzchen bei den Wahlen setzt, wenn man will, daß sich hier endlich etwas ändert.

Das sollte uns allen ein Anliegen sein. In unserem ureigensten Interesse. Wir werden alle mal alt und schwach. Vielleicht sogar dement. Wohin wollt Ihr, wenn Ihr alt und hilfsbedürftig seid? Wem liefert Ihr Euch aus?

Meine – vom Hals abwärts gelähmte – Freundin wurde in einem Pflegeheim von einem Pfleger vergewaltigt. Sie ist widerstandsunfähig. Die sehr religiöse Frau wurde durch die Tat seelisch so schwer verletzt, daß sie sich umbringen wollte und mit dem Rollstuhl in den Verkehr fuhr. Sie möchte nie wieder in ein Heim. Das ist ihre größte Angst. Wer dies nicht versteht, versetzt sich bitte mal in ihre vollkommen abhängige Lage. Sie liegt jetzt alleine in einer Wohnung und ist darauf angewiesen, daß jeden Tag jemand vorbeikommt, der sie versorgt, wäscht, auf die Toilette setzt und ihr die lebenswichtigen Medikamente verabreicht.

Wir haben keinen Einblick hinter die Fassaden der Einrichtungen und Psychiatrien. In der Regel auch nicht hinter die der Sozialbehörden. Kaum jemand weiß, wie es z.B. bei dem rückständigen Bezirk Oberbayern zugeht. Wie scheinheilig dort reihenweise Menschen mit Behinderungen entmündigt werden, bzw. eine gesetzliche Betreuung verpasst bekommen, damit man einfach über ihre Köpfe hinweg entscheiden kann, wie sie zu leben haben. Mit welch einer abgrundtiefen Bosheit von der sogenannten „Eingliederungshilfe“-Abteilung die respektlosen Bedarfsermittlungsverfahren geführt und die bevormundenden „Zielvereinbarungen“ verfasst werden, damit die Behördenopfer die extremen Auflagen garantiert nicht erfüllen können und auf ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verzichten müssen. Es geht dabei um glasklare Rechtsansprüche, die behördenseitig mit allen Mitteln – auch völlig rechtswidrigen – boykottiert werden! Man scheut sich dabei auch nicht, falsche Rechtsbelehrungen zu erteilen und Gesetze zu erfinden, die es gar nicht gibt.
Da werden hilfsbedürftige und erwerbsunfähige Menschen schikaniert, gedemütigt, verspottet, verleumdet, angeschrien, eingeschüchtert und entrechtet. Akten werden behördenseitig ganz erheblich manipuliert. Gezielt Falschaussagen über die Leistungsberechtigten produziert und gehortet. Eingereichte Unterlagen verschwinden quasi serienmäßig und Anträge werden einfach nicht bearbeitet, in der Hoffnung, daß die Antragsteller aufgeben und somit auf ihre Rechtsansprüche verzichten. Es ist reine Glückssache, an was für Sachbearbeiter man dort gerät. Manchen Behördenabhängigen geht es anscheinend gut. Das kann sich jedoch schon beim nächsten Sachbearbeiterwechsel dramatisch ändern. Wer Pech hat, wird tyrannisiert. Wer sich dagegen wehrt, bekommt einen Querulantenstempel und wird kraft Machtmissbrauchs und reiner Willkür von den Anspruchsabwehr-Teams mit allen Mitteln bekämpft.
Die eigentliche Aufgabe des Bezirks wäre Information, Beratung und individuelle Versorgung. Diese würde jedoch Arbeit bereiten und die meisten der Sachbearbeiter*innen und deren Vorgesetzte beherrschen nicht mal ihren Job, weil sie nur schlecht angelernt werden.

Während sich der Herr Bezirkstagspräsident in der Öffentlichkeit stets prahlend als Wohltäter inszeniert, stinkt es ganz gewaltig hinter der Fassade. Der Bezirk verprasst auf der einen Seite sinnlos Gelder wie z.B. aktuell 42.875 Euro für ein Profi-Tennisspiel, was gar nicht zu seinen Aufgaben gehört, aber auf der anderen Seite bekommen Menschen mit Behinderungen die dringend benötigten Hilfen häufig nicht und müssen JAHRE erbittert vor Gericht um ihre Rechtsansprüche kämpfen.
Ein bundesweit tätiger Assistenzdienst nennt den Bezirk „die schlimmste Behörde Deutschlands“. Dem kann ich nicht widersprechen, denn hier werden Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen mit voller Absicht in tiefste Verzweiflung getrieben. Ganz einfach, weil man es kann.
Es gibt in ganz Bayern kein funktionierendes Beschwerdesystem! Man lässt es laufen und wenn es Tote gibt, dann waren es ja auch nur ein paar Behinderte oder psychisch Kranke, nach denen keiner fragt. Man lobt dann vermutlich auch weiterhin die „hervorragenden“ Mitarbeiter des Bezirks…

Wir haben ein irrsinnig großes Blendwerk von scheinbaren Fürsprechern und Kümmerern, die jedoch nichts für uns tun.

In jedem Einzelfall kämpft jeder für sich allein gegen ein übermächtiges System. Um Selbstverständlichkeiten! Um Rechte, die uns vom Gesetz her ganz klar zustehen!

Und nun nochmals meine Frage: Was nützen uns Gesetze, wenn sich keiner daran hält?

Demo auf dem Münchner Marienplatz vor dem Rathaus. Auf der Bühne Patricia Koller, davor die Trommlerinnengruppe Drumadama und  Menschen aus dem Publikum
Foto: Udo Biesewski



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